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Tiere und andere Menschen | Tag 4

Victoria Strobl und Irene Zanol berichten täglich von den Europäischen Literaturtagen.
auf buchfühlung (Victoria Strobl & Irene Zanol)

11:00 Uhr – Literarisch-musikalische Matineé zu Ehren Philippe Sands

Wieder und noch ein letztes Mal während dieses Festivals werden die Scheinwerfer im Klangraum Minoritenkirche auf die Bühne gerichtet und der Zuschauerraum wird abgedunkelt. Das Duo Samona stimmt uns mit Geigen- und Gitarrenklängen auf eine feierliche Sonntagsmatineé zu Ehren Philippe Sands ein, die Walter Grond mit Gruß- und Dankesworten eröffnet. 

Der britisch-französische Jurist und Schriftsteller Philippe Sands wird heute mit dem Ehrenpreis des Österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln ausgezeichnet. Benedikt Föger, Präsident des HVB, ist nach Krems gekommen, um den Preis zu überreichen, der Publizist und Universitätsprofessor Ernst Strouhal, um die Laudatio auf Philippe Sands zu halten. 

“Als wir im März Philippe Sands den Preis zuerkannt haben”, so Föger, “war die Welt noch eine andere. Auch aus heutiger Sicht muss man sagen: Unsere Entscheidung hätte richtiger nicht sein können.” In der anschließenden Laudatio konzentrierte sich Strouhal vor allem auf einen Aspekt im Werk Sands: auf den brillanten Erzähler und darauf, wie er historische Fakten mit persönlichen Geschichten verwebt und seinen Blick zwischen Gegenwart und Vergangenheit schwenken lässt. 

Berührend waren die Dankesworte Sands, der den Preis jenen seiner Vorfahren widmete, die nicht da sind, die er nie die Chance hatte kennenzulernen. Er hätte eine besondere Beziehung zu Österreich, dem Land seiner Vorfahren, ist er doch als Sohn jüdischer Eltern in London geboren, während viele der aus Österreich geflüchteten Familienmitglieder der früheren Generationen Opfer des Holocaust wurden: 

“It feels in a sense like an embrace in two directions. It is to be frank never entirely without nuance or complexity for me to be in Vienna and in Austria. But I feel your embrace and I embrace you in return. Because I have a deep connection with this country. It is a place that courses through my veins. I have no doubt that my Austrianness in some ways influences what I do and what I write. And at this very difficult moment in the world - I think we all feel that - where tolerance is so important, this moment for me personally is as though a line has been drawn, that was a past in my relationship with AUstria and there is the future going forward. And that is a very wonderful thing.”

Im anschließenden Gespräch mit Rosie Goldsmith gab Sands Einblicke in die Entstehung seiner Werke - der wissenschaftlichen, juristischen genauso wie der literarischen. Seine Arbeiten als Jurist, so Sands, seien die Grundlage für alles folgende gewesen, der große Unterschied beim Schreiben des ersten Teils seiner literarischen Trilogie, “East West Street” (“Rückkehr nach Lemberg”), sei aber darin gelegen, dass er das Persönliche mit in das Werk hineinlegen musste und wollte, was es im akademischen Bereich ja zu vermeiden gelte. Weiters erzählte Sands von den Auswirkungen der Bücher auf seine Familie, aber auch auf seine eigene jüdische Identität. 

Auf die unermesslich wichtige Funktion von Musik gerade in Zeiten wie diesen wies der Autor am Schluss der Veranstaltung hin und bedankte sich auch seinerseits bei den aus Kärnten stammenden Musikerinnen Sara und Mira Gregorič, dem Duo Sonoma. Sie verbanden in ihren musikalischen Beiträgen verschiedenste Genres - von Klassik über Tango und Jazz bis hin zu Neuer Musik - und eröffneten auf originelle und fantasievolle Weise neue Gedanken- und Reflexionsräume. 

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Die intensiv geführten Gespräche der letzten Tage - während der Veranstaltungen auf dem Podium, aber auch in den Pausen, beim Essen und Spaziergängen durch das herbstliche Krems - sind mit diesem Tag nicht zu Ende. Gedanken wirken nach, wollen weitergedacht und vielleicht auch überdacht werden. Wir haben zum Abschluss einige der Teilnehmerinnen der diesjährigen Europäischen Literaturtage um ihr persönliches (Zwischen-)Fazit gebeten. 

Rosie Goldsmith, britische Multimedia-Journalistin, Gründerin des European Literature Network und bei den Europäischen Literaturtagen Jahr für Jahr als brillante Moderatorin tätig, resümiert: 

“I have to start with the end, which is sunday and the day Phillip Sands was given the award from the Austrian Book Trade and I must say it could not have been a more extraordinary, remarkable, wonderful end to the festival because not only did he speak about literature and storytelling but also about the rights of humans and also animals and about the environmental laws. He draw the conclusion of the whole festival himself. In that sense the ending was as wonderful as the beginning, where we were all finding our way with this rather complicated topic, which was for me quite a new topic. I really had to think hard about that topic of humans and animals and equal rights and putting ourselves into the minds of animals and the needs of animals, trying to think differently about the world. And through the few days I just learned so much, not only about animal rights and animal welfare, but also about what they need from us and what we need from them, how we have to treat them better. So it's been a wonderful voyage and discovery, which is why I love festivals.”

Die Visual- und Soundpoetin Kinga Tóth blickte begeistert auf die Tage zurück: 

“Die Vielfalt des Festivals hat mir sehr gut gefallen. Was ich besonders wertvoll finde, ist, dass es beim Festival auch so viele Widersprüche gegeben hat. Unser Thema waren Tiere und Natur und einige der Gäste waren vegan, wie ich, es gab aber auch Leute, die zwar Fleisch essen, aber sich für Naturschutz einsetzen und dann gab es auch noch Leute, die gerne jagen. Das fand ich gut, nicht das mit dem Jagen, aber dieses Aufeinandertreffen unterschiedlicher Meinungen. Wir brauchen diese kritische Auseinandersetzung. Wir können nicht immer höflich und nett sein und uns alle dazu beglückwünschen, dass wir ohnehin derselben Meinung sind. Wenn es keine Diskussion gibt, dann werden wir nie neue Punkte, neue Argumente finden. Ich denke, das ist hier passiert. Ich war zumindest zweimal richtig angepisst. Aber das ist gut so, denn das ist der Weg, wie Veränderung passieren kann. Auch von der technischen und organisatorischen Seite waren die Europäischen Literaturtage ein voller Erfolg. Ich bin reich beschenkt mit wundervollen Erlebnissen.” 

Auf die Frage, was bei Mara-Daria Cojocaru von den letzten drei Tagen “picken geblieben sei” meinte sie: 

“‘Picken geblieben’ ist, dass ich leider zu spät hier angekommen bin für die Kontroverse zwischen Anne Sophie Meincke und Michael Köhlmeier am ersten Abend. Denn mir scheint, es ist oft so, dass die Diskurse im Literaturbetrieb ein bisschen hinterherhinken und man immer wieder zurückgreifen kann auf ein ‘Ich finde halt’ oder ‘Ich sehe es nunmal anders’. Dabei gibt es schon wissenschaftlichen Konsens - und der läuft in eine ganz andere Richtung. Da darf die Kultur nicht so sehr nachhinken, sondern muss vielmehr Vorreiterin sein. Literatur und Kultur sollte Avantgarde- und Experimentierraum sein und ist es vielfach ja auch. Zum Beispiel habe ich mich sehr gefreut, mich endlich mit Kinga Tóth austauschen zu können. Was mich auch gefreut hat war, dass auch hundliche Leser*innen hier anwesend waren, die auch meine Multispezies-Literatur gelesen haben. Ihre Kritik war eigentlich ganz gut. Insgesamt war es eine sehr freundliche Atmosphäre. Was mir zu denken gegeben hat ist, dass wir eine Perspektive quasi ausgelassen haben und zwar die Vertierlichung des Menschen. Es ging sehr viel um die Vermenschlichung des Tieres, aber kaum um das Gegenteil.”

Anne Sophie Meincke überlegt, was sie als Philosophin von diesem Austausch mit Literaturschaffenden mitnimmt:

“Was mir doch erstaunlich scheint ist, dass es so eine Dialektik im Denken gibt, dass es uns schwer zu fallen scheint uns vorzustellen, dass wir in unseren nicht menschlichen tierischen Partnern tatsächlich Gemeinsamkeiten finden können, ohne sie zu vermenschlichen. Das war ja ein Kernpunkt in der Diskussion. Mir leuchtet das eigentlich nicht ein, weil diese Position eigentlich voraussetzt, was sie beweisen soll, nämlich, dass wir ganz anders sind. Was ich in den Gesprächen und auch in der Literatur, die hier präsentiert worden ist, sehr erfrischend fand, ist, dass die Literatur einen Raum bietet, dieses vermeintliche Anderssein auch zu explorieren und es auszuloten: Was haben wir gemein und wo sind wir vielleicht auch anders? Das große Potenzial der Literatur liegt auch darin zu fragen: Wie kann man eine gemeinsame Sprache zwischen Tier und Mensch entwickeln? Das müsste aber erstmal damit anfangen, dass es überhaupt eine gemeinsame Sprache im Sprechen über die Sprache der Tiere gibt. Was mich dann auch gleich dazu gebracht hat, darüber zu reflektieren, wie schwierig es schon sein kann, unter Menschen dieselbe Sprache zu finden.”

Ausgestattet mit neuen Denkanstößen, reichlich versorgt mit frischen Ideen, neuen Freund*innen (menschlichen sowie tierischen) und wunderbarer Literatur, werden die Europäischen Literaturtage auch dieses Mal wieder lange in uns nachklingen; so lange auf jeden Fall, bis es auch im nächsten Jahr wieder heißt: Willkommen bei den Europäischen Literaturtagen.